Liebe Maria Magdalena,
ich gehe durch das frisch geweihte Labyrinth in
Großrussbach. Es ist wunderbar gelegen,
oberhalb des Seminarhauses. Sorgfältig angelegt, noch frisch und empfindlich
das Gras und der Boden an den Seiten.
Achtsam muss ich die Schritte setzen.
Nach dem Einstieg bin
ich schon ganz nah an der Mitte, in der erhöht ein wunderschöner Bergkristall
steht. Aus Findhorn hat er hierher
gefunden, auch hier schmückt er ein von den KreistänzerInnen angelegtes Labyrinth. Ein Kreistanz-Bergkristall aus der Wiege des Sakralen Tanzes ist zur Feier des 25jährigen
Kreistanzjubiläums nach Großrussbach gekommen!
Inspiration und Initiative gingen von Maria-Gabriele Wosien aus. Sie
begleitet, ebenso wie Kyriakos Chamalides,
das Einweihungs- und Jubiläumsfest mit klugen Beiträgen, Bildern und
Tänzen.
Zu dieser Mitte im Labyrinth will ich gelangen. Meine Mitte? Die Lebensmitte? Das
symbolische Zentrum des Universums? Es gibt keinen schnellen und direkten Weg
dahin. Kaum bin ich die ersten Schritte
zur Mitte gegangen, muss ich anhalten und mich wenden. Bewusst wenden, damit
ich auf dem Weg bleiben und in die neue Richtung schauen kann. Dabei entferne ich mich wieder vom Zentrum,
je länger ich gehe, desto weiter werden die Wege bis zum nächsten Halt. Wenn
ich aufblicke, sehe ich jedes Mal eine
andere Landschaft: den Wald, eine Wiese, das Tal…
Die kleinen überschaubaren Abschnitte - wie in der Kindheit
- werden länger. Zuerst viel Neues,
Abwechslung, Richtungswechsel. Dann längere, gleichförmige Wege, wie zu der Zeit in der Lebensmitte, als alles
seinen geregelten Gang ging.
Wie weit ist denn nur der Weg bis zum Ziel? Oft scheine ich
nah heran zu kommen, doch plötzlich bin ich auf der anderen Seite des
Labyrinths, wo erneut wieder und wieder ein Innehalten und eine Neuausrichtung
gefordert sind.
Auf dem Weg denke ich an dich, liebe Maria Magdalena. Ich
hatte gehofft, dich auf dem Fest noch einmal zu treffen, viele intensive
Stunden auf Tanzreisen mit Gabriele haben ein Band zwischen uns geflochten.
Doch du lebst inzwischen im Hospiz. Während ich meine Schritte vorsichtig
setze, überlege ich, wie nah du jetzt deinem Ziel bist. Du gehst auf den Tod zu – konntest du all die
ausgedehnten Wege zur Mitte gehen oder
hat die Krankheit dich zu einer
Abkürzung gezwungen?
Wo stehe ich? Der Tod ist das Ziel. Hier im Labyrinth mit dem leuchtenden
Bergkristall ein schönes, anziehendes Ziel.
Wie wunderbar, dass wendenreiche Wege und kein gerader Pfad
zu ihm führen.
Liebe Maria Magdalena, du bist
inzwischen angekommen. Wir denken an
dich.
Berlin, 19.06. 2015
Ilse Haase
Foto: Adelheid Pik
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