Was bewirkt Tanz? Was sind die Qualitäten, die Tanzen über eine angenehme Freizeitbeschäftigung hinaus zu einem Weg der persönlichen Entwicklung machen?

Für mich ist Tanz immer auch eine Form der Meditation. Während ich tanze, habe ich keine Zeit mir Gedanken zu machen - weder über die Vergangenheit, noch über die Zukunft. Ich höre die Musik, bewege mich dazu und bin ständig in einem Zustand von Wachheit, Aufmerksamkeit und entspannter Bereitschaft.

Und was mich besonders fasziniert: ich bin in diesem Moment ohne jede Bewertung. Es macht keinen Sinn, eine Bewegung besser zu finden als eine andere und es ist weder Zeit noch Raum dafür.

Diese Form einer annehmenden, nicht bewertenden Körper- und Selbstwahrnehmung wird in verschiedenen spirituellen und psychotherapeutischen Richtungen als Achtsamkeit bezeichnet und ist eine alte Kulturtechnik, die z.B. im Buddhismus seit langer Zeit praktiziert wird.

Wahrnehmen ohne Bewertung - das klingt so einfach und hat meist doch so wenig Platz in unserem Alltag. Achtsamkeit heißt auch ganz präsent zu sein. Und was könnte es Schöneres geben, als sich in diese Präsenz zu tanzen? In unseren achtsamen Augenblicken fühlen wir uns verbunden, durchlässig und oft von Freude oder Ergriffenheit erfüllt.

Tanz und Achtsamkeit zu verbinden heißt Raum zu schaffen für eine liebevolle, nachsichtige Aufmerksamkeit für mich selbst und kann ein heilsames im Hier und Jetzt Sein bewirken. Das stärkt und stabilisiert uns emotional. Der Fokus liegt auf dem, was ist, Freude macht, leicht fällt.

Die stressreduzierende Wirkung von Achtsamkeit und Meditation ist lange bekannt, untersucht und dokumentiert. Wenige Studien (hauptsächlich im englischsprachigen Raum) gibt es bisher zu den Wirkungen von Tanz auf die psychische Verfassung. Rosa Pinninger z.B. untersuchte an der Universität von New England die Rolle von Tango bei Depressionen. Sie sagt "in learning Tango movements, you have to focus your attention and be completely in the present moment." (Quelle: http://bit.ly/tango-studie am 8.10.12).

Das Leistungsprinzip hat viele Bereiche unseres Lebens erreicht. Nicht nur bei der Arbeit, in der Schule, beim Sport, sondern auch kreative Bereiche werden davon erfasst. Musik- und Tanzwettbewerbe sind nur die eine Seite. Körper und Geist sollen angepasst, normiert, geformt und flexibel werden. Tanzen wird zum Fitnesstraining, Freizeitgestaltung zum zusätzlichen Punkt auf der To-Do-Liste.

Nehmen wir uns wieder Zeit fürs Nichts Tun, fürs Einfach Da Sein, für das Erleben von Stille und Leere. Für das Zuhören, Lösen, Entspannen, für die Schönheiten um uns, für die Natur, für unseren Körper. Überlassen wir uns der Musik und dem Boden, nehmen uns Zeit zum Spüren, Wahrnehmen, Wundern. Geben wir uns die Erlaubnis, einfach zu sein.

So eine Form von positiver Selbstzuwendung kann den Weg ebnen zu einem veränderten Körper- und Selbstbild und damit zu mehr Selbstakzeptanz und Selbstwert.

Abgesehen davon verhilft uns Tanz zu einer aufrechten Haltung und verlangt eine gute Erdung. Der Begriff Grounding wird in vielen Bereichen der Körperarbeit und Körperpsychotherapie verwendet und mit Qualitäten wie Standfestigkeit, Eigenständigkeit oder Verwurzelung assoziiert. Eine geerdete, aufrechte Haltung ist Ausdruck von Ausgeglichenheit, Offenheit und Stabilität.

Für Trudi Schoop, eine der Pionierinnen der Tanztherapie, ist es das Zentrum, das körperliche und seelische Einheit ermöglicht:

"Es dient als Stabilisator für unser Gleichgewicht, als Kompass für unsere Orientierung und Koordination für unsere Bewegungen, ist Beziehungspunkt für unsere körperlichen Grenzen – es sagt uns, wo wir anfangen und wo wir aufhören."*

Zentrierung nehmen wir im Tanz als Muskelspannung um die Körpermitte wahr. Das fördert wiederum die Körperwahrnehmung, gibt uns ein Gefühl für die (Körper-)Mitte und bringt uns in Kontakt mit unseren Emotionen. Aus dieser Haltung kann inneres Erleben in die Bewegung fließen und Kontakt mit Außen aufgenommen werden.

Diese Vorgänge schließlich berühren grundlegende Lebens- und Entwicklungsthemen: Die Spannung zwischen Ich und Du, Rückzug und Öffnung, Innen und Außen oder spielerisches Sich Verstecken und Sich zeigen.

*Schoop, Trudi, ...komm und tanz mit mir!, 1981, S. 81

Fotos: Astrid Pinter

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