Wir haben einen Körper – den dürfen wir besonders jetzt nicht vergessen!
„Tanzt, Tanzt, sonst sind wir verloren“ – diese Worte der Choreografin und Tänzerin Pina Bausch haben angesichts der Krise mehr Gültigkeit denn je.
Seit dem ersten Quartal des Jahres 2020 sind große Teile der Arbeitswelt, die Kommunikation und das „in Beziehung treten“ mit anderen Menschen seltsam unkörperlich geworden. Berührungen und Umarmungen fallen weg. FreundInnen und KollegInnen hören wir oft nur oder bekommen sie höchstens auf einem Handyscreen oder Computerbildschirm zu Gesicht.
Ich sitze seit Monaten im Homeoffice, nehme an Videokonferenzen teil, halte Webinare und habe Tanzunterricht Online gegeben. Als jemand der jahrelang mit dem eigenen Körper und mit anderen Menschen mit dem Fokus auf deren Körpern tänzerisch gearbeitet hat, verfolge ich diese Entwicklungen mit neugieriger Selbstbeobachtung. Denn ich frage mich: Wie wirken sich derart essenzielle Veränderungen auf uns aus?
Da ist zwar einmal die Dankbarkeit dafür, dass es überhaupt möglich ist weiter zu arbeiten, weiter zu kommunizieren und sogar weiterhin zu tanzen aufgrund all der technischen Möglichkeiten. Außerdem bin ich immer wieder fasziniert davon, um wieviel einfacher ein virtuelles Zusammentreffen verglichen mit einem physischen ist: Man erspart sich die Fahrtwege und Anreise. Man muss keinen Raum suchen, anmieten und vorbereiten. Man braucht eigentlich nicht wirklich auf die „richtige Kleidung“ zu achten. Jederzeit können sich beliebig viele Menschen aus den unterschiedlichsten Orten der Welt treffen, nie ist ein Ort zu weit weg, nie ist es zu eng. All die Beschwerlichkeiten, die gemeinsame Räume mit sich bringen können, fallen weg. Wir überwinden jegliche Grenzen und Distanzen. Seminare, Fortbildungen und Informationen sind damit noch rascher und einfacher verfügbar als jemals zuvor.
Trotz all dieser unbestreitbaren Vorteile: Die digitalen Zusammentreffen bleiben oftmals merkwürdig flach. Sie bleiben an der Oberfläche, die Tiefe fehlt und – das vielleicht folgenschwerste - sie bleiben weniger gut im Gedächtnis. Ich habe bemerkt, dass ich mich besser an die Inhalte von herkömmlichen Seminaren erinnern kann als an jene von Online-Seminaren. Abrufen von Wissen fällt leichter, wenn es mit einer Erinnerung an einen bestimmten Ort, an eine bestimmte Atmosphäre, an eine bestimmte Reaktion anderer TeilnehmerInnen oder an gemeinsame Café-Pausen usw. verknüpft ist. Offenbar sind bloß akustische und visuelle Wahrnehmungen zu wenig nachhaltig. Menschen in ihrer Dreidimensionalität unmittelbar zu spüren, sich gemeinsam Räume zu teilen und uns gegenseitig mit all unseren Sinnen wahrzunehmen, macht uns erst vollständig in unseren Interaktionen.
Wissen und Erfahrung sind in unserem zentralen Nervensystem verankert, aber all unsere sensorischen, motorischen und emotionalen Erfahrungen sind ebenso im Körper gespeichert. Das bedeutet: Wir haben auch ein Körpergedächtnis. Es gibt nicht zufällig den alten Spruch, dass etwas in „Fleisch und Blut“ übergegangen ist. Distance Learning könnte somit langfristig ernste Konsequenzen auf unsere geistige und körperliche Weiterentwicklung haben, ganz besonders bei Kindern und jungen Erwachsenen. Diese neuen Kommunikations- und Lernformen sind jedoch, wohl auch aufgrund der oben genannten Vorteile, nicht mehr aufzuhalten. Auch wenn die Maßnahmen gegen die Pandemie diese Entwicklung sehr beschleunigt hat, so hat sie schon viel früher begonnen und wird auch das Abklingen der Pandemie überdauern. Es geht auch nicht um ein „entweder digital oder analog“, sondern mehr um ein „sowohl digital als auch analog“. Je mehr digital kommuniziert wird, desto mehr sollte bewusst der Wahrnehmung mit allen Sinnen und körperlicher Aktivität Raum gegeben werden.
Wichtig ist, gut in Verbindung zu bleiben mit dem eigenen Körper, der Natur und - sobald es wieder möglich ist - mit anderen Menschen. Spazieren, wandern, sich in der Natur bewegen, Achtsamkeitsübungen und vor allem TANZEN! Menschen fühlen sich einander näher, wenn sie Gestik und Mimik einander spiegeln, Körperhaltung und Schrittrhythmus synchronisieren und durch Rhythmus in Einklang kommen. All das geschieht beim Tanzen!
Eine ganz wunderbare Methode Verbundenheit auf sehr vielen Ebenen zu spüren und somit die vergangenen Monate der Isolation auszugleichen, ist der Drehtanz der Derwische.
Im Frühling biete ich wieder 2-tägige Drehtanz-Workshops in Wien im Studio Goldegg an zu folgenden Terminen:
Sa 24./ So 25. April: jeweils 14:00 – 17:00 Uhr
Sa 29./ So 30. Mai: jeweils 14:00 – 17:00 Uhr
Nähere Infos & Anmeldung: https://www.juliafraunlob.at/
Foto: Ulrich Gottlieb
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Comments
Danke für diesen Beitrag Julia, Du hast absolut recht! Je "digitaler" wir werden, umso wichtiger ist es, auf den Körper zu achten!
Lg, Astrid