Sacred Dance (Heilige Tänze) begegnete mir zum ersten Mal im Jahr 1984 in der Findhorn-Gemeinschaft in Schottland. Etwa zur selben Zeit, als Teenager in den Vereinigten Staaten, hatte ich meinen Weg zu den unglaublich reichen Volkstanztraditionen des amerikanischen Schmelztiegels gefunden, genauso zu dem Frauentanz des Mittleren Ostens und den die Natur verehrenden Kreisen des spirituellen Frauennetzwerkes. Zusammen mit meinen Studien in Tanz- und Bewegungstherapie, halfen diese verschiedenen Einflüsse, den Pfad meines Lebenswerkes im Sacred Dance während der letzten dreissig Jahre zu formen. In diesem Artikel möchte ich etwas über meine persönliche Reise zu den traditionellen Frauentänzen sagen, und wie ich dazu kam, sie in das Sacred Dance Netzwerk zu bringen.
Spurensuche
Traditionelle Frauentänze gehören zu den ältesten unserer Tänze und sind immer noch ein kraftvolles Werkzeug für Einsicht, Heilung und Transformation. Ich sehe den Corpus der traditionellen Frauentänze als Träger wertvoller kodierter Information aus ferner Vergangenheit, erstaunlich starke Überlebende einer uralten Mysterienschule der Frauen.
Bernhard Wosien brachte Sacred Dance nach Findhorn als ein Werkzeug für persönliche Einsicht und Gruppenverbindung. Bernhard inspirierte mich sehr, zusammen mit den drei bemerkenswerten “Grandes Dames” des Sacred Dance: Anna Barton in Findhorn, bei der ich zwei Trainingseinheiten absolvierte, und Bernhards Tochter Maria-Gabriele Wosien, und seine ehemalige Schülerin Friedel Kloke, die beiden letzteren begannen in den späten 80ern, in Grossbrittannien Seminare anzubieten.
Ich fand zwar die Sacred Dance Choreografien und vereinfachten Volkstänze sehr schön und inspirierend, spürte aber in meinem Herzen eine grosse Sehnsucht, näher zu den traditionellen Tänzen zu kommen, zu den Wurzeln von etwas, das älter ist als klassische Musik, älter als das Christentum, älter als maskuline, an Helden und Rettern orientierte Interpretationen von Mythos und Symbol. Mein Training im Frauentanz des Mittleren Ostens hatte mir die Erfahrung einer uralten Linie von heiligem Frauentanz vermittelt, die ungebrochen über Jahrtausende zurückgeht. Ich fragte mich, ob es vielleicht auch eine Kreistanztradition der Frauen gibt, wie sie auf archäologischen Fundstücken dargestellt ist, und ob diese, genau wie der Solotanz, vielleicht noch im Wesentlichen unverändert fortbesteht.
Einfache Schrittmuster versus komplizierte Variationen
Schon bei meinen ersten Begegnungen mit traditionellem Tanz war sofort offensichtlich, dass Frauen in den Balkanländern in einem völlig anderen Stil tanzen als Männer und oft auch mit anderen Schritten. Zu der Zeit waren in der internationalen Volkstanzwelt die Tänzer zwar vorwiegend Frauen, fast alle meiner frühen Lehrer jedoch Männer - Pece Atanasovski, Tom Bozigian, Steve Kotansky, Joe Graziosi, Ahmet Luleci, Yves Moreau, Erik Bendix, Jaap Leegwater, Michael Ginsburg, Karl Finger, um nur einige zu nennen - genauso wie die aktivsten Lehrer in der damaligen Sacred Dance und Kreistanzscene in Grossbritannien - Colin Harrison, David Roberts, Peter Vallance, Hugh Spriggs usw. Ausnahmen waren zum Beispiel die niederländischen Volkstanzlehrerinnen Bianca de Jong und Tineke van Geel, die jedoch auch den athletischen Tanzstil der Männer gemeistert hatten - und die Männer hinter sich lassen konnten! - und in ihrem Programm vor allem diese Tänze unterrichteten. Obwohl viele dieser Lehrer sich bemühten, auch etwas von den Frauentänzen und dem Frauenstil zu zeigen, wofür ich ihnen ausgesprochen dankbar bin, bildeten diese Tänze doch nur einen winzigen Anteil des Volkstanzrepertoire, das ansonsten den Männertänzen mit ihren grösseren Schritten, energischen Bewegungen und zahlreichen komplizierten Variationen den Vorzug gab.
Einfache Sacred Dance Choreografien wie Bernhards Bach Sonnenmeditation und Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft haben mir gezeigt, welche Kraft darin steckt, ein einfaches Muster zu wiederholen. In Bulgarien sah ich zum ersten Mal, dass das “Volk”, von dem unsere “Volkstänze” kommen, selber am liebsten einfache Tänze tanzt, so wie das Drei-Takt-Muster, das ich später mit dem Lebensbaum identifizierte. Durch meine gleichzeitigen Studien der Tanz- und Bewegungstherapie konnte ich verstehen, wie die Wiederholung einfacher Muster die Gehirnwellen synchronisiert und ein kollektives Gefühl von Einheit, Verbindung und Gehaltenwerden erlaubt, das so nicht auftrat bei Volkstanzveranstaltungen, in denen die Menschen Mühe hatten, eine komplizierte Sequenz nach der anderen zu bewältigen. Mit der Zeit verstand ich, dass es die einfachsten Muster sind - die ältesten Muster, die Muster der Frauen - die sowohl die kraftvollste Verbindung mit der Vergangenheit als auch das grösste Potential für Heilung in der Gegenwart haben.
Suche nach den Wurzeln
Meine Reisen auf der Suche nach den alten Wurzeln der Frauentänze begannen im Jahr 1987 und führten mich in alle osteuropäischen Länder, genauso wie in die Türkei, nach Armenien, Nordafrika und viele Orte in Bulgarien und Griechenland. Ich suchte den Tanz mit Frauen, vor allem mit älteren Frauen. Durch mein Eintauchen in diese Welt und viele besondere Begegnungen mit Frauen in den Dörfern wurde ich in die Linie der Weitergabe aufgenommen und erhielt meinerseits die uralte Weisheit, die über viele Generationen treu bewahrt und weitergegeben wurde. Mein Tanztherapietraining und meine Erfahrung der spirituellen Frauenkreise, zusammen mit dem Vorbild von Findhorn bei dem bewussten Einsatz der Tänze zur Gruppenarbeit, liessen mich erkennen, welche unglaubliche Kraft diese Tänze noch immer haben - nicht als Museumsstücke, sondern als kraftvolle, lebendige Werkzeuge für unsere eigene Heilung und Transformation. Dieses ist die Mysterienschule.
Wenn eine Karbondatierung der Tanzschritte nicht möglich ist, woher wissen wir dann, dass die Tänze uralt sind? Tanzanthropologen stimmen überein, dass die ältesten Tänze die sind, die am meisten vorkommen und am weitesten verbreitet sind. Dies sind auch die Tänze, die am wahrscheinlichsten einem rituellen Zweck dienen, etwa der Feier einer Hochzeit oder Verlobung.
Schlüssel zu kodierten Informationen
In meiner Forschung nach den Wurzeln der Frauentänze habe ich eine Methode mit vier Strängen enwickelt. Ich suche nach der Kontinuität der Motivs in 1) den archäologischen und historischen Zeugnissen; 2) den Tanzmustern selbst; 3) gewebten und bestickten Textilien; 4) Tanzliedern, Märchen und verwandten mündlichen, nicht linearen Texten. Ich schlage vor, dass eine Übereinstimmung der Muster in allen dieser vier Gebiete kein Zufallsprodukt ist. Besondere Motive werden über viele Generationen sorgfältig bewahrt, eben weil sie eine Bedeutung haben. Damit sind diese Tänze eingebettet in eine Kontinuität sowohl der Zeit (die ungebrochene Wiederholung der Muster von der Vorgeschichte bis zum heutigen Tag) als auch des Raumes (ihre weite geographische Verbreitung).
Die geographische Verbreitung der hauptsächlichen Drei-Takt (“Lebensbaum”) Tanzfamilie entspricht, auch dies kein Zufall, in etwa dem Gebiet, das die Archäologin und Matriarchatsgelehrte Marija Gimbutas als das ehemalige Blütegebiet der frühen Zivilisation der Göttin identifiert hat. Zusammen mit der Tatsache, dass die in den ältesten Frauentänzen kodierten Schlüsselmotive selbst Symbole der Grossen Muttergöttin sind, wie ich in meinen Artikeln der letzten zwei Jahrzehnte gezeigt habe, ist dies Beweismaterial für eine überlebende Erblinie der Frauenmysterien. Und warum sollte sie nicht überleben? Als die patriarchalen Mächte die Zerstörung der Tempel befahlen, verschwand die alte Kultur der Göttin nicht: sie ging in den Untergrund, zu ihrer eigenen Sicherheit kodiert in nonverbalen Mustern und über Jahrhunderte des Patriarchats weitergegeben. Frauen entwickelten eine geheime Sprache der Textilmotive im Weben und Sticken, auf ihren Trachten und Ritualtüchern, deren Wurzeln ins Neolithikum zurückreichen. (Sie überleben am besten in den Traditionen Osteuropas und der Balkanländer, weil unter der Orthodoxen Kirche keine Massenverbrennungen von Hexen stattfanden, aber erkennbare Spuren in Stickerei, Tanzschritten und Märchen zeigen, dass unsere west- und nordeuropäischen Vorfahren auch einst Teil dieser verborgenen Sprache waren.) Diese Muster sind ein offenes Geheimnis, entdeckt und umarmt von denen, die Augen haben zu sehen und Ohren zu hören, und grosszügig geben sie ihre Weisheit selbst denen, die aus einer anderen Kultur und einem anderen Zeitalter kommen.
Wiederherstellung der Ganzheit
Als die Tänze mich zu sich riefen, baten sie mich auch, sie weiterzugeben, und diese Forschung, Lehre und Weitergabe ist jetzt seit fast drei Jahrzehnten mein Lebenswerk. Ich war die erste, die wirklich auf Frauentänze fokussierte, sowohl in der Volkstanzwelt als auch in der Sacred Dance Welt, und damit mehr Gleichgewicht in unser Verständnis traditioneller Balkantänze im Ganzen brachte. Diese einfachen Tänze und die in ihnen enthaltene komplexe Information zu ehren, ist ein Weg, die Weisheit der Erde, des Körpers und des Weiblichen zu wiederzugewinnen. Als Teil meiner Reise zur Wiederherstellung der Ganzheit brachte ich auch viele Tänze von unterdrückten Völkern und Minderheiten ins Tanznetzwerk, als Werkzeuge, die uns dabei helfen können, das in den Schatten Gedrängte zu umarmen, sowohl in uns selbst als auch in unserer Gesellschaft und Zivilisation im Ganzen.Diese Tänze von Exil und Heimkehr, oder Tänze heimatloser Völker, wie ich sie genannt habe, schliessen jüdische Klezmertänze ein; armenische, assyrische und kurdische Tänze; griechische Tänze aus Kleinasien, und Tänze der Roma. Mit ihren subtilen, auf Hüften und Bauch konzentrierten Bewegungen haben die Romatänze wahrhaftig die Kraft, die feminine, sinnliche, kreative Lebenskraft zu erwecken und neu zu werten, die im Tanz verkörpert und im Schattenreich begraben ist. Als ich anfing, die Romatänze ins Sacred Dance Netzwerk zu bringen, gab es einen Aufruhr - dass sie nicht “heilig” genug waren! - aber schnell begann die Sacred Dance Gemeinschaft, sie zu würdigen als einen kraftvollen Weg, bewusst das verwundete Weibliche zu heilen, und ich bin jetzt stolz, dass so viele Sacred Dance Lehrerinnen und Lehrer es jetzt für selbstverständlich halten, dass die Romatänze der Frauen eine Schlüsselposition einnehmen in der Welt des heiligen, spirituellen, meditativen Tanzes.
Mystikerinnen ohne Kloster
In den letzten zweitausend Jahren wurde die Weisheit der Frauen heimatlos und staatenlos gemacht; in den Worten von Caroline Myss sind wir “Mystikerinnen ohne Kloster”. Es mag vielleicht keinen bestimmten Platz geben, an dem die Tänze und ihre Botschaft offen blühen können, aber jeder Tanzkreis kann der in unserem eigenen Körperwissen verankerten Quelle uralter Weisheit eine Heimstelle anbieten. Wir brauchen Lehrerinnen, die uns von neuem darin ausbilden können, das Muster und unseren Platz darin zu sehen, denn unsere industrielle Zivilisation hat die Linie unterbrochen und die Verbindungen müssen neu geknüpft werden. Das Ziel meiner Trainings in Ritualtänzen der Frauen ist es jedoch, einen direkten Zugang zu dieser Information für jede von uns möglich zu machen, und persönlich die innere Heimat des tanzenden Körpers wiederzuentdecken.
Dieser gnostische Weg des Wissens ermächtigt alle in gleicher Weise. Und dies ist der kostbare Schatz, versteckt in den traditionellen Frauentänzen: ihre geheimen Lehren bringen neues Leben in die alten Werte des neolithischen Europa, im besonderen Partnerschaft, Kooperation, Kreativität, Gleichheit und Gemeinschaft. Es ist mir eine Ehre, mein Leben in ihren Dienst zu stellen, eben weil sie die Werte lehren, die wir am meisten kultivieren müssen, um einen nachhaltigen Kurs für unsere Zukunft einzuschlagen.
Laura Shannon © 2013
Ubersetzung: Katharina Kroeber
Bildernachweis:
Topfscherbe des neolithischen
Mesopotamien, etwa 8000 vor christlicher Zeitrechnung. Zur
Verfügung gestellt von Yosef Garfinkel: Dancing at the Dawn
of Agriculture, University of Texas, 2003.
Shannon with Loulouda Zikida and grandmothers of Pentalofos,
Greece, dancing the ‘Milias’ (‘apple
tree’) wedding ritual. Photo © Yves Moreau
Tanzende Frauen im ‘Horo’ Muster, im 19. Jhdt bestickte Schürze aus Razgrad, Bulgarien. Zur
Verfügung gestellt vom Ethnographischen Museum Sofia. Foto ©
Laura Shannon
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