"Und wenn du dein Herz spürst, wenn du das spürst, was dir lehrt, jenseits von Form, jenseits von Religion, jenseits von Klasse zu lieben, dann öffne langsam deine Flügel, mit einer Stütze zum Himmel hin in der Rechten, ... und die Linke mit dem Handteller zur Erde geöffnet, und bette dich so ein in das ganze Universum, ... schwing ein in alles, was dreht."
(Fawzia Al-Rawi, Sufi Meisterin)
Liebe Nicole, erzähl uns doch mal, wie du zum Drehtanz gekommen bist?
Es ist wahrscheinlich jetzt fünf Jahre her, als ich das allererste mal live zu einem Drehtanz Abend, der auch Sema genannt wird, gekommen bin. Ich wusste zu dem Zeitpunkt nicht, was mich erwartet und wegen heftigen Schneefalls auch zu spät in den Raum, der Zawaiya des Haus des Friedens im 12. Bezirk in Wien, gekommen. Drinnen wurde bereits musiziert und einige Menschen waren verteilt im Raum, drehend und in sich versunken. Es war, als würde ich in eine andere Welt eintrete, ich wusste nichts, aber es war wie „Heimkommen“.
An diesem Abend saß ich nur ruhig an einer Wand der Zawayya, des Raumes, und beobachtete eine „Tänzerin“ vor mir und sie war für mich vollkommen mit Licht durchstrahlt, wie eine Art Engel. Wahrscheinlich – obwohl ich Zeit und Raum irgendwie vergessen hatte – hab ich so ca. zwei Stunden verbracht. An jenem Abend wusste ich, ich möchte das auch.
Und kannst du uns etwas mehr darüber berichten, ob es schwierig ist, sich zu drehen?
Ich nehme an, es ist für jeden eine ganz unterschiedliche Erfahrung. Mir persönlich fiel es nicht leicht, weil mir andauernd entweder schlecht wurde oder ich die Zentrierung verlor. Ich habe ca. ein halbes Jahr immer wieder auf einer öffentlichen Parkwiese unter einem Baum nach dem frühmorgendlichen Joggen „geübt“ (ich nehme an, da gab es einige erstaunte Gesichter bei Hundebesitzern, die ihren Runden drehten). Ich blieb einfach dran und hab mir für mich „beflügelnde“ Musik am Handy dazu geschalten und so ging es dann nach und nach besser.
Das wichtigste in der Technik würde ich sagen, ist die innere Stabilität und Zentrierung, die man durch den ruhigen Atem erreicht. Ist man innerlich ruhig und zentriert, kann man sich im Äußeren so schnell und so lange drehen, wie man kann, es bleibt alles ganz klar in seiner Ordnung.
Kannst du uns verraten, wie der spirituelle Aspekt dahinter für dich aussieht?
Auch hier kann ich wieder nur von meinen eigenen persönlichen Erfahrungen berichten. Ich drehe, um mich mit mir im Zentrum mit meinem Herzen zu verbinden. Auf dem Sufi-Weg, auf dem ich mich seit ca. fünf Jahren sehr aktiv befinde, ist der Drehtanz eine Bewegungs-Meditation und ein Mittel, um Gott näher zu kommen, sich ganz hinzugeben. Wenn der Körper nicht mehr kann, einfach weil es zu anstrengend ist, kommt ein kleiner, winzig kleiner Punkt oder Moment, in dem man sich entscheiden muss, aufzuhören oder eben sich völlig hinzugeben. Für mich ist es ein magischer Moment, es fühlt sich an, wie ein kleiner Tod, den man freiwillig wählt aus Liebe zu Gott, mit allen Konsequenzen. Das ist der Moment, wo sich ein ganzes Universum aufmacht und das Bewusstsein sich weitet. Verstand, Herz und Körper als die drei fundamentalen Komponenten jeder menschlichen Natur, werden durch den spirituellen Drehtanz zusammengeführt. In diesem Zustand kann man noch stundenlang weiterdrehen, ich würde sagen es ist wie in eine Art leichte Trance, in der man sich tief verbunden fühlt mit sich selbst und mit dem ganzen Universum. Denn alles im Universum, vom Atom bis hin zu den Planeten, dreht sich und durch dieses Ritual wird man in diese göttliche Ordnung eingebettet, wenn man sich mit allem, was man ist, „hingibt“.
Wo kann man den Drehtanz lernen?
Ich habe gesehen, dass man den Drehtanz als „Technik“ öfter in Kursen und Workshops lernen kann, da gibt es verschiede Anbieter. Für mich ist der Drehtanz heilig und ist ein Hilfsmittel auf meinem spirituellen Weg des Herzens, dem Sufismus. Für jene, die das Wort Sufismus noch nie gehört haben, es wird auch als die mystische Seite des Islams bezeichnet und hat eine sehr lange Tradition, sie wird auch der Weg der Liebe genannt. Vielen wird wahrscheinlich der Mystiker und Poet Jalal ad-Dhin Rumi (1207-1273) etwas sagen. Durch ihn wurde der Drehtanz im Mevlana Orden in Konya, Türkei, (ebenfalls ein Sufi Orden) weltberühmt. In unserem spirituellen Zentrum im Haus des Friedens im 12. Wiener Gemeindebezirk, ist der Drehtanz neben Seminare, Meditationen, Stille-Retreats und Gemeinschaftsgebet „Dhikr“ (ein „sich erinnern“) eines der Mittel für spirituell Suchende, die ebenfalls diese tiefe, tiefe Sehnsucht verspüren.
Anlässlich des Weltfriedenstag 2022 haben wir gemeinsam in der Jesuitenkirche in Wien getanzt und gedreht. Mehr dazu im Rückblick. Und von unserem Drehtanz vor dem Stephansdom gibt es ein Video. Für 2023 sind bereits einige Veranstaltungen in Planung.
Liebe Nicole, vielen Dank für das interessante Gespräch.
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