Der Tanz ist so vielgestaltig wie
jede andere künstlerische Ausdrucksform. Unter der Fülle von Tanzformen die zu
wählen, die der persönlichen Tanzlust entspricht, erfordert oft Zeit und
Geduld.
Wenn wir jedoch auf der Suche
nach dem Tanz sind, der heilende Potentiale verspricht zu erschließen,
sind wir oft gänzlich überfordert. Nach welchen Kriterien sollen wir Ausschau
halten? Wer garantiert, dass der Tanz
dazu verhilft, persönliche Lebenssituationen und -herausforderung zu meistern? Gibt es
überhaupt eine solche Garantie?
Unter den vielen Formen
tanztherapeutischer Arbeit, die in den letzten zwanzig Jahren in Deutschland
sich entwickelt haben, möchte ich einen Ansatz herausgreifen, der sich in dem
Grenzbereich künstlerischer und therapeutischer Arbeit befindet. Anna Halprin,
inzwischen 93jährig, Tänzerin der Westküste der USA, hat ihr Lebenswerk
als Künstlerin mit dem Ziel verknüpft, eine Form des Tanzes zu entwickeln, die
auch dem tanzenden Laien den Raum gibt, persönliche Lebenserfahrungen auf die
„Bühne des Lebens“ zu bringen“. Nicht vorgegebene Tanzformen werden
nachvollzogen, sondern der Tanzende wird
auf einem kreativen Weg begleitet, der das Finden seiner persönlichen Sprache
des Tanzes ermöglicht. Charakteristisch für diesen kreativen Weg ist die
Einbeziehung des Malens von inneren Bildern. Die gemalten Bilder werden zum
Ausgangspunkt tanzender Entdeckungsreisen auf der Suche nach dem in ihnen
verborgenen Sinn. Mit großer Sorgfalt und therapeutischer Behutsamkeit werden
diese Bilder in den kreativen Ausdrucksprozess des Tanzes eingewoben, denn sie
brauchen ihre eigene Zeit um sich zu zeigen und ihre heilenden Potentiale im
Tanz zu entfalten.
„Life-Art-Process“ nennt Anna
Halprin ihren Zugang zum Tanz, der durch ihre persönliche Begegnung mit Fritz
Perls in den 60iger Jahren durch die Konzepte der Gestalttherapie stark
beeinflusst wurde. Es ist ihr gelungen, Prinzipien der Gastaltarbeit in den
Tanz zu übertragen und damit eine bewegte und kreative Form von
Lebensbewältigung zu schaffen, die an die intuitiven Selbstheilungskräfte des
Menschen anknüpft. Der Tradition der Gestalttherapie folgend kann im
geschützten therapeutischen Setting einer Einzeltherapie der kreative Prozess
der Heilung sorgfältig auf die Bedürfnisse des Einzelnen ausgerichtet werden.
In der Gruppenarbeit wird das heilende Potential des Tanzes durch die
Anteilnahme und Solidarität der Gruppenteilnehmer um einen weiteren
Heilungsfaktor erweitert.
Anna Halprin ist nicht nur durch
den von ihr und ihrer Tochter Daria Halprin entwickelten Life/Art Process
bekannt geworden, der am Tamalpa Institut im Norden von San Francisco gelehrt
wird und auch inzwischen in Deutschland als Grundausbildung angeboten wird..
Sie hat sich darüber hinaus durch die Entwicklung und öffentliche Durchführung
von Tanz-Ritualen einen internationalen Namen gemacht. „Circle the Earth“ und
„Planetary Dance“ sind zwei ihrer bekanntesten Rituale, die in vielen Ländern
dieser Erde jährlich durchgeführt werden. Aktuelle Themen unserer Zeit, wie die
Suche nach Frieden und Gewaltlosigkeit, haben Anna Halprin bereits in den
80iger Jahren dazu geführt, mit großen Gruppen von über 100 Teilnehmern
öffentliche Performances mit dem Ziel durchzuführen, die verborgenen Wurzeln
dieser weltweiten Phänomene zu konfrontieren und in eine künstlerische Form zu
transformieren. Auch ihre unerschrockene
Auseinandersetzung mit dem Thema „Aids“ findet ihre Form in Ritualen, in denen
Betroffene aus ihrer sozialen Isolation in eine tanzende Öffentlichkeit
integriert werden, die getragen ist von dem Ausdruck mitfühlender Solidarität.
Anna Halprin ist selbst durch
einen Heilungsprozess als Betroffene hindurchgegangen, indem sie ihre
Krebserkrankung in einem persönlichen
Ritual konfrontierte. Ihre medizinisch bestätigte Heilung hat sie auf den Weg
gebracht, selbst mit Gruppen Krebskranker zu arbeiten. In ihrem in deutscher
Übersetzung erschienenen Buch „Tanz, Ausdruck und Heilung“ stellt sie ihren
Zugang zur kreativen und heilenden
Arbeit mit Krebserkrankten dar.
„Healing Arts“ nennt sie ihre Arbeit, die das Ritual als eine aktive
Konfrontation mit persönlichen Lebensfragen zu einem zentralen Bestandteil
ihres Tanzes macht.
Die Dimensionen des
künstlerischen Ausdrucks, die durch Anna Halprin’s kreatives Engagement den
Tanz bereichert haben, sind unübersehbar geworden. Der seit 2010 weltweit
gezeigte Film „Breath made Visible“ gibt Zeugnis ab ihres langen, kreativen
Lebens, das bis zum heutigen Tag geprägt ist von immer neuen Suchbewegungen
nach der Verbindung von Lebenserfahrung und künstlerischem Ausdruck.
Literaturangaben:
Anna Halprin: Tanz, Ausdruck
und Heilung. Synthesis Verlag, Essen 2000
Gabriele Wittmann, Ursula Schorn,
Ronit Land: Anna Halprin. Tanz – Prozesse – Gestalten. Kieser Verlag,
München 2009, 2. Auflage 2013.
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