Zur Ethnie der Aromunen und einigen ihrer Tänze
„Die Aromunen sind eines der ältesten Völker
Europas, auch wenn niemand weiß, wie viele sie zählen, weil sie fast nirgends,
wo sie leben, als Minderheit anerkannt werden“ … „Aromunen lebten einst überall
auf dem Balkan und leben heute in großer Zahl in Griechenland, Mazedonien,
Albanien und Rumänien, in geringerer in Serbien und Bulgarien und
weitverstreut über alle Kontinente.
Einzig Mazedonien aber, ein junger Staat, der international nicht eben
hochangesehen ist, hat sich bereit gefunden, sie im Status einer Volksgruppe
anzuerkennen.“ ….. „Die Aromunen, denen in den Zeugnissen des Mittelalters
Reichtum und hochentwickelte Kultur bescheinigt wurde, die über Jahrhunderte
eine für den europäischen Handel unverzichtbare Bevölkerungsgruppe war und
deren Beitrag für die politischen Emanzipationsbewegungen des Balkans gar nicht
hoch genug einzuschätzen ist, sind im 20. Jahrhundert ins Abseits geraten.“…..
„Das 20. Jahrhundert brachte ihnen in allen
diesen Ländern, zumal in Bulgarien und in Griechenland, Zwang, Verfolgung, Tod:
Sie wurden umgesiedelt, amtlich mit neuen Namen ausgestattet, durften ihre
Sprache in der Öffentlichkeit nicht mehr gebrauchen, ja nicht einmal sagen,
dass es sie überhaupt gab, viele ihrer Dörfer wurden verwüstet und Hunderte
ihrer Lehrer, Pfarrer, Intellektuellen inhaftiert, in Lager gesteckt, auf entlegene Inseln verfrachtet.“ …
„Was ihnen, orthodoxen Christen, das
islamische Reich gewährt hatte“ (eigenständige Nationalität) „wurde ihnen von
dessen christlichen Nachfolgestaaten sogleich entzogen.“ (K.-M. Gauß, Die
sterbenden Europäer, S. 188- 191). In Griechenland werden die Aromunen bis
heute diskriminiert. Dazu wäre eine eigene Darstellung angezeigt.
Verfolgungen, die in der
Nähe eines Genozides gesehen werden können, begannen aber nicht erst im 20.
Jahrhundert. Die Aromunen waren wohlhabend und das erweckte die Gier der
Nachbarn. Um 1870 wurde ihre blühenden Siedlungen im heutigen Albanien
überfallen, beraubt und gebrandschatzt. Ein Hauptakteur war der
albanisch-stämmige, von der Türkei eingesetzte Ali Pascha, nach dessen im Lied
wiedergegebenen Lebensgeschichte zumindest im Wiener Raum ein gleichnamiger
Tanz getanzt wird. (Der Tanz steht im Fünfer-Metrum, in einem Rhythmus, der
sogar am Balkan eher selten ist.) Die Zahl der Aromunen in Albanien wird in
ernstzunehmenden Studien in der Größenordnung von Hunderttausend geschätzt.
Die Aussiedlung oder
Flucht aus ihren jahrhunderte lang angestammten Siedlungsgebieten erfolgte in
mehreren Wellen. Als ein wesentlicher Grund ist die scharfe Grenzziehung der
nach der türkischen Herrschaft entstandenen Nationalstaaten anzusehen. Die
Aromunen waren in der Mehrzahl Händler und Wanderhirten, deren
Geschäftstätigkeit von durchlässigen Grenzen abhängig war. Was die Zielländer
der Emigration betrifft scheint es
plausibel, dass häufig Rumänien als Ziel gewählt wurde, wo eine ähnliche
Sprache gesprochen wird. (Je nach nationalem oder politischem Interesse wird
Aromunisch entweder als Dialekt des Rumänischen oder als eigene Sprache
eingeschätzt. Jedenfalls gehört es mit dem Ladino (Judezmo, Sephardisch) zu den
drei lebenden romanischen Sprachen am Balkan. Rumänisch und Aromunisch werden
beide auf das Latein während der Besetzung durch die Römer am Beginn unserer
Zeitrechnung zurückgeführt.
Zur Geschäftstüchtigkeit
der Aromunen:
Einer der maßgeblichen
Spender, die den Bau des Wiener Musikvereins finanziell ermöglichten, war Nikolaus
Dumba, der Abstammung nach ein Aromune. Nach ihm ist die Dumbastraße beim Musikverein
benannt. Er baute eine bedeutende Textilfabrik in Niederösterreich auf und war
ein hochgebildeter Mann. Sein Großvater war noch Hirte in Nordgriechenland
gewesen. Den Großteil der Schubert-Autographen verdankt Wien der
testamentarischen Schenkung Dumbas.
Nun zu den – zumindest in
Ostösterreich - bekannteren Tänzen:
- La mushata armana (die schöne Aromunin), 7/8-Takt. Zutreffend bemerkt Loneux in seinem Buch über
Rumänien und seine Tänze, dass Takt und (Schritt)Struktur des Tanzes stark an
mazedonische Tänze erinnern, ein Hinweis auf die Gegend, aus der der Tanz und
seine Akteure gekommen sein dürften. Die von Loneux offensichtlich von
rumänischen Fachleuten übernommene Version, die Aromunen hätten ursprünglich im
Gebiet Rumäniens gesiedelt, wären dann ausgewandert und später wieder
zurückgekommen, dürfte allerdings nach den meisten Quellen nationalistisch
motivierte Geschichtsverdrehung sein. Das Ursprungsgebiet der Aromunen wird im
Dreiländereck Albanien, Griechenland, Mazedonien angenommen, wo ja Reste von
ihnen noch heute siedeln.Übersetzung des
aromunischen Textes:
Ach, schöne Aromunin an
der Quelle im Tal. Wenn Du tagsüber an ihr vorbei gehst, machst Du mir große
Freude.
Refrain: Ach, ich lieb
dich sehr, ach, gib mir einen Kuss.
Meine Aromunin, ich
möchte Dir ein Wort sagen. Ich möchte Dich heiraten.
Wenn du willst, junger
Mann, dass ich Deine Braut werde, komm zu mir nach Hause und lass uns heiraten.
Ach meine Aromunin,
Körper wie eine junge Pflanze. Wie soll ich es Dir nur sagen, dass ich Dich zur Frau will.
- Tora de la Cogealac, 4/4-Takt.
Das Wort Tora (wenn man es nicht als
Verballhornung von Hora ansieht) ist erklärungsbedürftig. Es heißt schlicht „jetzt“.
Cogealac ist eine Siedlung in der Dobrudscha, eine Gegend, die ebenfalls schwerwiegende
politische Umgestaltungen erlebt hat. Wenn man Informationen aus dem Internet
vertrauen kann, wurde dieser Ort – ursprünglich wohl eine türkische Siedlung -
Mitte des 19. Jahrhunderts von Bessarabien- Deutsche besiedelt, von denen es
aber gegenwärtig keine Reste mehr gibt.Die Aromunen dürften erst um 1940 nach
Cogealac gekommen sein. Der Tanz in seiner gegenwärtigen Form wird daher wohl
zu Recht als „rumänisiert“ bezeichnet. Der Text des Liedes ist allerdings Aromunisch.
Es wird von einem bekannten griechischen Sänger gesungen (ethnische Vielfalt
pur).
Im Internet kann man
einige andere aromunische Tänze finden.
Wenn man geneigt
ist, den Aromunen Wohlwollen entgegen zu bringen, gibt es auch Wahrnehmungen, die traurig
machen. Dazu gehört, dass große Teile dieser Ethnie bemüht sind, ihre
Zugehörigkeit zu ihrer Volksgruppe zu verbergen oder gering zu schätzen. Dies
gilt sowohl für die Aromunen in Rumänien wie auch für die in Griechenland. Dies
ist bemerkenswert, weil in diesen beiden Ländern unterschiedliche Lebenssituationen konstatiert werden können.
Rumänien versucht mit positiven Signalen, die Aromunen zu „richtigen“ Rumänen
zu machen. Die Zahl der Aromunen in Rumänien ist nach einer ernst
zunehmenden Quelle – wenn es sich nicht um einen Druckfehler handelt - zwischen 1995 und 2005 von 25.000 auf 5.000
Menschen zurückgegangen. Die Fehlenden sind natürlich nicht ausgewandert,
sondern haben ihre ethnische Zugehörigkeit zumindest für die Zählung aufgegeben. Rumänien hat 18 anerkannte Minderheiten, die Aromunen sind nicht
darunter. Daher gibt es auch keine 'offiziellen' Zahlen des Staates.
Das amtliche Griechenland
hingegen hat massiven Druck in Richtung Assimilation ausgeübt und tut es zum
Teil heute noch. So durfte (ähnlich wie bei den Kurden in der Türkei) lange
Zeit die aromunische Sprache nicht verwendet werden, von Unterricht in dieser
Sprache ganz zu schweigen. Die positive Einstellung Rumäniens zu den Aromunen
erweist sich hier als fatal, weil diese in Griechenland auf irrationale Weise
als „5. Kolonne“ Rumäniens verdächtigt werden. Es herrscht die absurde
Situation, dass die Aromunen in Griechenland sehr wohl ihre Tänze pflegen, aber
nicht ihre Sprache verwenden dürfen. Zur Zahl der Aromunen in Griechenland gibt
es nur inoffizielle Angaben, weil Griechenland mit einer Ausnahme keine
Minderheiten anerkennt. Die Schätzungen reichen von 30.000 bis 120.000.
Im offiziellen Ranking
der Realisierung von Minderheitenrechten in Europa steht Griechenland an
vorletzter Stelle (das Schlusslicht ist die Türkei). Österreich steht an 16.
Stelle, an der Spitze rangieren Belgien (wohl wegen der starken Minderheit der
Wallonen), Finnland und Dänemark.
Herzlicher Dank für kompetente Informationen gebührt Thede Kahl,
einem engagierten Kenner der Situation am Balkan. Thede hat mehrere Jahre
an der Österreichischen Akademie für Wissenschaften gearbeitet und ist
jetzt Universitätsprofessor in Jena
Raimund Sobotka
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