Tanzen ist für mich zentraler Zugang zu Freiheit und Selbstbestimmtheit, so habe ich auch den Entschluss gefasst und nie bereut nach langen Jahren im Management mir den Lebenstraum Tanztherapie zu erfüllen und bin seit 2010 in diesem Feld tätig. Ein spezifisches Projekt von mir ist "Tanz die Resonanz mit Renaissancemusik" im Rahmen eines Forschungsansatzes zur Bedeutung der Musik in der Therapie.
Mit der Musik der Renaissance bin ich seit meiner Jugend durch die Teilhabe am Ensemblespiel verbunden. Ich sehe im besonderen Ausdruck und der Resonanz, die diese Musik hervorzurufen vermag, ein großes Potenzial auch für die Unterstützung des tanztherapeutischen Prozesses.
Zum Verständnis: Die Renaissance (etwa 15./16. Jahrhundert) war ein Zeitalter der Veränderung. Der Mensch der Renaissance wurde sich seiner Freiheit und seiner schöpferischen Möglichkeiten bewusst, entdeckte die Qualitäten des Individuums und die Daseinsfreude. Der gesellschaftliche Aufbruch spiegelte sich auch in der Musik wieder. War diese im Mittelalter primär auf das Lob Gottes ausgerichtet, so rücken jetzt neue Themen ins Zentrum (Moorbach 2009): die Intensität elementarer Gefühle von Liebe und Verlust, Tod und Vergänglichkeit, aber auch insbesondere der emanzipatorische Anspruch des Menschen, Verantwortung für das Dasein im Hier und Jetzt zu übernehmen. Es gab eine neue Freiheit des Ausdrucks, gleichzeitig wurde der Ruhe und Ausgewogenheit größte Bedeutung beigemessen.
Rezeption und spezifische Erlebnisqualitäten von Renaissancemusik heute
Alte Musik ist derzeit Kult: Das boomende Interesse an Alter Musik manifestiert sich in zahlreichen Festivals, die eine immer breitere Öffentlichkeit erreichen. Was ist für uns heute das Besondere an Renaissancemusik? Im Rahmen meiner Forschungstätigkeit habe ich KlientInnen befragt, welche Empfindungen diese Musik bei ihnen auslöst.
Eine Trainerin aus der Erwachsenenbildung, 46 Jahre, beschreibt ihre Wahrnehmung: „Für mich öffnet die Renaissancemusik Räume und Möglichkeiten. Ich spüre, dass die Musik aus einer Zeit kommt, die nach Öffnung strebt. Die Struktur bildet einen Rahmen. Diese Musik eröffnet nicht den Weg in die Beliebigkeit, sondern zeigt eine Spur auf im positiven Sinne. Ich spüre Freiheit und Struktur.“
Eine Lehrerin, 57 Jahre, betont: „Renaissancemusik wirkt insgesamt harmonisierend auf mich. Wenn ich Verspannungen habe, spüre ich diese bewusster und kann mich an eine Lösung herantasten. Die Zellen richten sich auf Harmonisierung ein. Es ist wie eine warme Decke. Die Musik gibt mir Ideen, ich kann den Bewegungsimpulsen nachgehen, mich ausdrücken. Ich weiß noch nicht, wo es hinführt, aber ich gehe."
Ein Informatiker, 34 Jahre, äußert sich wie folgt: „Die Wirkung ist zentrierend und gleichzeitig erweiternd. Aufrichtend, Aufbruchsstimmung.“
Fokus Aufrichtung, Gehen und Schreiten
Renaissancemusik lädt ein zum Gehen und Schreiten. Viele Tänze der Zeit wie Pavane und Gaillarde waren Schreittänze. Basse Dance war ein Prozessionstanz mit würdevollen, zeremoniellen Bewegungen, strebend nach Klarheit und Linearität des Ausdrucks -- nach stolzer Aufrichtung. Auch heute hat diese Musik eine suggestive Kraft, die den Bewegungsausdruck zur Aufrichtung unterstützt.
Die Nutzung dieser spezifischen Qualitäten des Stehens und Gehens in spielerisch-tänzerischer Erfahrung erlaubt KlientInnen, sich auf die Wahrnehmung des Selbst zu fokussieren. Höhmann-Kost führt aus, dass die leibtherapeutische Arbeit am Stand stützende und Ich-stärkende Möglichkeiten bietet: „In der senkrechten Haltung kann ich bewusst erleben: Dies ist mein Platz, kein anderer Mensch auf der Welt nimmt ihn ein. Ich stehe auf meinen eigenen zwei Beinen, ich habe die Kraft, aufrecht dazustehen." (Höhmann-Kost 2002, 100)
Eine Vielzahl tanztherapeutischer Themen zur Stärkung des Selbst sind mit der Aufrichtung und dem Gehen verbunden: Richtung finden, Kontinuität, Klarheit, Stolz, Gewichts- und Raumwahrnehmung, Selbstrepräsentanz in der Vertikalen und Sagittalen sowie der Umgang mit Zeit und Gleichgewicht. Lilian Espenak erfasst die Bedeutung des Gangs als zentrales Ausdruckselement des Menschen, das seinen Charakter wiederspiegelt.
Umsetzung
Mit meinem Konzept "Tanz die Resonanz mit Renaissancemusik“ baut auf der schöpferischen freien Bewegungsentfaltung auf.
„Was ich heute Abend erfahren habe -- das ist Lebendigkeit und Ruhe = Orientierung." Feedback Patientin F.
Zentrales Element des Konzeptes ist hörende Achtsamkeit: empathisches Hören, Ruhe und Bewusstwerdung in einer liegenden Position. Zu Beginn der Sitzung geht es um die Wahrnehmung der Musik im Körper und den damit verbundenen Emotionen. Im weiteren Prozess wird ein Entwicklungsweg vom Boden oder aus der mittleren Ebene in die Aufrichtung gestaltet, in den Stand und die Vertikale akzentuierend. Polare Antriebe können erfahren werden: Ruhe und Bewegtheit, direkter und indirekter Raumfokus, Spannungsfluss gebunden und ungebunden. Der Ebenen-Wechsel erlaubt neue Wahrnehmungsperspektiven.
Integriert sind Übungen zur Bewusstwerdung im Stehen, Gehen und Schreiten und im freien Tanz. Ziel ist es, neben der Stärkung des Selbst Spielräume zu erkennen und zu erweitern. Intuitiv wird der schreitende Charakter der Musik individuell aufgenommen und mit dem persönlichen Bewegungsbedürfnis verbunden. Die Erarbeitung einer Choreografie ist meines Erachtens nicht notwendig. In meiner Arbeit steht der kreative individuelle Ausdruck des Menschen im Mittelpunkt.
Die Musik der Renaissance bietet eine Vielfalt von Rhythmen: neben der schreitenden Pavane (4er- oder 3er Takt) finden wir Springrhythmen in Gaillarden und Couranten (6/4 oder 6/8), elegische Lieder mit überraschenden Taktwechseln und nicht zuletzt die pulsierende Tarantellen-Musik mit Gesang und Schlaginstrumenten, wobei z.B. das Tamburin zu alternierenden Triolen einen Zweierrhythmus, mal schneller, mal langsamer, spielt -- eine traditionelle Drehtanz- und Trancemusik.
Ausgehend von diesen musikalischen Impulsen können persönliche Themen bearbeitet werden: Wege gehen und wieder verlassen, Klarheit, Altes und Neues, Fokussierung und Auflösung der Spannung, Balance und Präsenz im Hier und Jetzt. Psychologische Fragestellungen tauchen auf: Wie viel Struktur brauche ich? Welchen Weg will ich gehen? Wie ist meine Ausrichtung?
Meine Erfahrungen aus eigener Praxis zeigen, dass dieser Ansatz positiv aufgenommen und therapeutisch zur Ressourcenstärkung und im Weiteren zur Stärkung des Selbst erfolgreich eingesetzt werden kann. Voraussetzung ist, dass Renaissancemusik individuell berührt und die KlientInnen damit in Resonanz zu eigenen Themen kommen.
„Das ist Medizin, raus aus dem Hamsterrad und bei mir sein… endlich." Feedback Patientin H.
Das Potential der Anwendung von Renaissancemusik in der Tanztherapie liegt in der Vielfalt der Erlebnisqualitäten und in der Balance zwischen Freiheit und Struktur. Übungen des bewussten Gehens verhelfen zum Ausdruck und zur Entfaltung der eigenen Ressourcen. Im Mittelpunkt meines Angebotes stehen daher die Aufrichtung und der Gang als symbolische Erfahrung beim Beschreiten des eigenen Weges.
Wer "Tanz die Resonanz" kennenlernen möchte hat dazu Gelegenheit am 01.11.2018 zu einem Infoabend und Einführung - dies ist insbesondere eine Einladung an KollegInnen auch zum Austausch über die Methode.
Weitere Termine: 11. und 12.01.2019. Details finden Sie auch auf www. tanzklang.at
Literatur
Heimes, S. (2010): Künstlerische Therapien. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen
Höhmann-Kost, A. (2002): Bewegung ist Leben -- Integrative Leib- und Bewegungstherapie -- eine Einführung. Huber, Bern
Jansen-Osmann, P. (2008): Die künstlerischen Therapien im Zeitalter der Neurowissenschaften. Musik-, Tanz- und Kunsttherapie 19, 1--10,
Klein, P. (2007): Tanztherapie -- Ein Weg zum ganzheitlichen Sein. Dieter Balsies Verlag, Kiel
Löwe, U: (2013) Entwicklung eines tanzpädagogischen und tanztherapeutischen Angebotes zur Stärkung des psychisch-physischen Wohlbefindens mit Renaissancemusik (Abschlussarbeit Campus Naturalis Berlin)
Morbach, B. (2009): Die Musikwelt der Renaissance, Bärenreiter, Kassel
- Anmelden oder Registieren, um Kommentare verfassen zu können