Vor lauter Lauschen und Staunen sei still,
du mein tieftiefes Leben;
dass du weisst, was der Wind dir will,
eh noch die Birken beben.
Und wenn dir einmal das Schweigen sprach,
lass deine Sinne besiegen.
Jedem Hauche gieb dich, gieb nach,
er wird dich lieben und wiegen.
Und dann meine Seele sei weit, sei weit,
dass dir das Leben gelinge,
breite dich wie ein Federkleid
über die sinnenden Dinge.
Das ist der alte Menschheitstraum,
Als Auftrag stetig aufgegeben.
Dass wir die Ehrfurcht vor dem Leben
Als Maß begreifen über Zeit und Raum.
Das ist der Weihnacht tiefster Sinn:
Dass Liebe wieder mächtig werde
Und ihre Urkraft unserer Erde
Die Hoffnung leih´
Zum Neubeginn.
Text: Rainer Maria Rilke (1875–1926)
Foto: pixabay hands-1926414_1280.jpg
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