Ich weiß nicht mehr, wann
mir das erste Mal das Vorhandensein von
Minderheiten und deren Situation bewusst geworden ist. Eine Situation, die
überall in der Welt in unterschiedlicher Weise – bis hin zu physischen
Vernichtung – das Leben ihrer Mitglieder bedrängt und bedroht.
Ein Ereignis habe ich
allerdings in deutlicher Erinnerung: Ich habe 1980 einen kurzen Beitrag zum Thema „Rhythmus im Folkloretanz“
verfasst, in dem ich darauf hingewiesen habe, dass im alten Griechenland 400
Jahre vor Christus der Fünferrhythmus klar und eindeutig beschrieben wurde.
Eine konkrete Ausprägung dieses Rhythmus heißt dort „Rhythmos Kretikos“ und ist
mit 2, 1, 2 gegliedert, eine Struktur, die sich völlig identisch in den
Schritten von Vasillo Archontissa und Tik wiederfindet. Diesen Artikel hat ein
griechischer Volkstanz-Fachmann gelesen, der damals Vorsitzender der
UNESCO-Untergruppe Volkskultur war. (Seinen Namen und die genaue Bezeichnung
der Organisation habe ich inzwischen vergessen). Dieser Funktionär lud mich
ein, ein Referat darüber bei einem internationalen Kongress in Athen zu halten.
Ich sagte zu unter der Voraussetzung, dort auch etwas über die Tänze der
Minderheiten in Griechenland zu erfahren. Die Reaktion war: null. Ich habe von
diesem Menschen nie wieder etwas gehört. Eine Motivation für diese Zeilen ist
also die Wahrnehmung von Minderheiten und ihren Problemen.
Eine zweite Motivation
geht von der Idee der Dankbarkeit aus. Dankbar sein dafür, dass wir diese
Tänze „benützen“ dürfen und können. Dazu
gehört nach meinem Verständnis, dass die Herkunft der Tänze so präzise wie
möglich angegeben wird. In einigen Fällen wird dies durch das Internet
erleichtert. Ich habe z.B. unter Srem (Kolo von Srem) nachgeschaut. Und da findet man, dass Srem (lat. Sirmium ?
früher eine Stadt) heute keinen Ort
sondern eine Gegend bezeichnet, die einen Teil der Vojvodina ausmacht. Diese
Angabe findet sich auch präzise in der Tanzbeschreibung von Ursoaica auf der
Homepage des Folkoretanzclubs, während auf der Übersichtsliste unerklärlicher
weise Kroatien angegeben ist.
Wenn wir kurz beim
ehemaligen Jugoslawien bleiben: Ich habe die Vermutung, dass durch die Teilung
in mehrere souveräne Nachfolgestaaten Minderheiten entstanden sind, die es
vorher in dieser Schärfe nicht gegeben hat. (Diese Vermutung wird durch die
glaubhaften Berichte über die Vorgänge in diesen Kriegen – bis hin zu
Kriegsverbrechen – genährt).
Mein Idee geht in die
Richtung, dass alle bei uns Anleitenden, die diesem Ansinnen etwas abgewinnen
können, bei Kontakten mit Fachleuten aus oder zu diesen Gebieten dazu
Informationen einholen und diese dann auch in die Bezeichnungen der Tänze
einfließen lassen.
Die Idee der Dankbarkeit
und Achtung betrifft alle Folkloretänze, in besonderer Weise aber die Tänze von
Minderheiten. So waren auch die Bezeichnungen der Tänze „La Musata arman“ und
„Tora de la Cogealac“ Anlass, mich näher mit der Ethnie der Aromunen zu beschäftigen. Einige Informationen hatte
ich schon vorher. Ich wusste bereits, dass die Aromunen (sie werden je nach
Gegend auch als Vlachen bezeichnet) bis in das 19. Jahrhundert eine am Balkan
weitverbreitete und wirtschaftlich erfolgreiche Ethnie mit mehreren
Untergruppen war. Sie waren zahlenmäßig den Albanern ebenbürtig. Die Geschichte
kennt keine Gerechtigkeit: Während die Albaner seit Anfang des 20. Jahrhunderts
einen eigenen Staat haben, sind die Aromunen als Volksgruppe vom Verschwinden
bedroht. Ich hatte mit meinen intensivierten Nahforschungen Glück. Ich habe vor
wenigen Tagen eine in Wien lebende Aromunin kennengelernt, die in
liebenswürdiger Weise zu Auskünften bereit ist. Und, wie der „Zufall“ so
spielt, ihr Mann ist zwar kein Aromune, aber ein Wissenschaftler, dessen Forschungsgebiet der
Balkan ist (derzeit Univ.Prof. in Jena), der eine überaus fundierte Arbeit über
die Aromunen verfasst hat. Speziell zu dieser Ethnie können daher in der
Fortsetzung dieses Beitrages konkrete und kompetente Informationen in Aussicht
gestellt werden.
Raimund Sobotka
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