Feuerspuren - Lettische Tanzrituale und Symbole
In den überlieferten Traditionen Lettlands ist der menschliche Lebensweg Abbild des Schöpfungsweges. Eingebunden in den jahreszeitlichen Wandel der Natur und die Stimmungsbilder eines ganzen Tages wird er begleitet von mythischen Gesängen, den Dainas, von heiligen Zeichen, den Zīmes, und von Tanz.
Maria-Gabriele Wosien war für dieses Projekt fast zwei Jahrzehnte unterwegs. Aus einer grossen Zahl von Kontakten mit Exponenten des lettischen Kulturlebens und durch gegenseitigen Austausch in zahlreichen Seminaren und Referaten entstanden erste Ideen. Später wurden sie dann über gezielt auf das Projekt ausgerichtete Kontakte und Aktivitäten zum hier dargestellten lettischen Zyklus «Lebenswege im Tanz» weiterentwickelt.
Der Zyklus besteht aus siebzehn Tänzen, welche die Autorin so beschreibt, dass sie auch getanzt werden können. Die Musik dazu ist auf der beigelegten CD enthalten.
Der dazu gedrehte Film auf DVD bietet eine zusätzliche Hilfe.
Das Buch enthält zudem Fachbeiträge zum lettischen Brauchtum (lettisch und deutsch) von Vaira Vīķe-Freiberga – ehemalige Staatspräsidentin Lettlands - von Janīna Kursīte, Arnolds Klotiņš, Valdis Muktupāvels, Māra Mellēna, Valdis Celms, Daumants Kalniņš und Ernests Spīčs.
Der Film (auf DVD) ist separat erhältlich, ISBN 978-3-907038-41-3
Im Film «Feuerspuren» werden alle, im Buch auch durch ergänzende Tanzbeschreibungen erwähnt, gezeigt. Sie sind angereichert mit Bildern aus der Natur und beziehen sich auf überliefertes rituelles Brauchtum.
Die lettischen Zeichen – Zīmes – erscheinen als ein aus kosmischer Lichtinformation entstandenes, visuell empfangenes Dokument.
In ihren unendlich vielen Verbindungen begleiten diese Lichtzeichen, als Weg– und Feuerspuren – den Menschen auf seinem Weg durch die Zeit.
Der Sonnen-Weltenbaum (Gatves dancis – traditionell)
So wie sie in den Dainas geschildert werden, sind die lettischen Gottheiten immer in Bewegung. Ihr Heim haben sie im Weltenbaum, der auch als eine Art Himmelsleiter geschaut wird. In diesem Baum, der Welteneiche, mit ihren kupfernen Wurzeln, silbernen Zweigen und goldenen Blättern, hat die ganze Schöpfung ihren Platz:
Die Sonne schaukelt und dreht sich ganz oben auf der Baumspitze, der Mond, die Sterne und alle Kreaturen entlang
dem Stamm und den Zweigen:
Mit dem dreifachen Sonnenweg von Aufgang, Stand im Zenith und Untergang sind die Schöpfung, wie auch der Lebenslauf des Menschen verbunden. Der Kosmos atmet ein und aus, sodass sich Hintergrund und Vordergrund, Anfang und Ende ständig in einem Austausch befinden. Dabei verändern sich auch die Maßstäbe immer wieder von unendlich klein bis unendlich groß und umgekehrt, d.h. alles korrespondiert mit seinem Gegenwert, wie der Geist mit Materie, die Wurzel mit der Krone des Baumes. Der lettische Dichter, der im bäuerlichen Umfeld lebt, ist die Natur und kann sie nicht außerhalb von sich selbst begreifen.
Der rote Sonnenbaum reflektiert das Morgen- und Abendrot, durch das sich das Licht der Sonne in den Wolken verzweigt. Die Sonnenstrahlen werden zu Zweigen und Ästen, die kleinen Wölkchen zu Blättern. Im nächtlichen Baum sind die Sterne seine Früchte.
Foto: Eiche auf einem heiligen Hügel

Lebensbaum, Stickerei auf dem Schulterteil eines Hemdes
Ai, zalai birztalina ka es tevi sen taupij (2x)
Nedriksteju rikstes griezti teva zirgus ganidams (2x)
Ik ritinu saule leca sarkanai kocina (2x)
Jauni puisi veci tapa to kocinu mekledam (2x)
Es atradu to kocinu svetu ritu ganidams (2x)
Vara saknes, zelta zari sidrabina lapinam. (2x)
Oh, du grüner Birkenhain, hab ich dich so lang geschont!
Durfte keine Rute brechen um des Vaters Pferde zu hüten.
Morgens geht die Sonne auf in dem roten Bäumchen.
Junge Burschen, alt geworden, dieses Bäumchen suchen wollten.
Heiligen Morgens, auf der Weide, fand das Bäumchen ich:
Seine Wurzeln waren Kupfer, die Äste waren aus Gold, die Blätter reinstes Silber.
Bei den Weg- und Webtänzen, die nach den Vorbildern der Trachtengürtel zu zweit in Reihen getanzt werden, stellen die durch die Tanzenden gebildeten Linien die Webkante dar, das unabänderliche Gesetz der Form. Zwischen den Linien fließt die Energie des Tanzes, wobei die Tanzenden beides, Form und Inhalt verkörpern – auch empfunden als Kühle oder Abwendung, die hinter dem Rücken beginnt und Wärme oder Zuwendung, die auf der Vorderseite des Körpers spürbar ist.
Die miteinander gefundenen und getanzten Wege versinnbildlichen den Schuss, das veränderlich Zufallende. Hauptthema ist die Fadenführung im Gewebe der Zeit.
Diese Nachbildung des Weges als Kunstform wurzelt in Jahrtausende alten Erfahrungen der Wegsuche in der Natur, im Aufspüren von Fährten und Wegen, die in der Natur selbst angelegt sind.
Hinter der Linie der Webkante, zu beiden Seiten des Weges, beginnt der Un-Weg: der Rand versinnbildlicht das zeitlich Begrenzte, das in der Mitte Hindurchziehende das Himmlisch-Geistige.
Die Begegnung der Finderin mit dem ‚roten Bäumchen’, das die Alleinheit der Schöpfung beinhaltet, ist das Ziel eines Lebens, das der Suche gewidmet ist.
© Maria-Gabriele Wosien
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Neu: Maria-Gabriele Wosien Tanzarchiv
c/o Klangraum 21 – Mevlevi Semahane Ebertsheim
Eduard-Mann-Str. 3
67280 Ebertsheim
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